Kommunen als Orte der Vielfalt stärken

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Stellungnahme der Kooperation für Flüchtlinge in Brandenburg (KFB) zur zukünftigen Gestaltung der Migrationspolitik im Land

 

Brandenburg, 08.09.2025 – Weil Fluchtmigration Teil der gesellschaftlichen Realität in Brandenburg ist, müssen Kommunen als zentrale Gestaltungsorte und Räume des Ankommens gestärkt werden. Aus diesem Grund und mit Blick auf die Erklärung der Landrätekonferenz vom 19. März 2025 halten wir es für notwendig, den dort vertretenen Positionen mit unserer Migrationsexpertise zu begegnen und unsere zentralen Prinzipien zu bekräftigen.

Die Aufhebung der Unterbringungspflicht verbunden mit der Möglichkeit der freien Wohnortwahl für geflüchtete Menschen aus der Ukraine war ein positives Beispiel, wie durch den Abbau von Beschränkungen kommunale Kapazitäten geschont und die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung genutzt werden konnte. Es hat sich gezeigt, dass lokalen Überlastungssituationen durch dezentrale Wohnungsunterbringung wirksam begegnet werden kann.

Statt in symbolpolitische Maßnahmen wie Grenzkontrollen zu investieren, sollten Ressourcen gezielt in gemeinwohlorientierte kommunale Infrastruktur fließen, die die spezifischen Bedarfe schutzsuchender Menschen berücksichtigt. Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht durch Abschottung und Abschreckung, wie dem Verweigern von Grundrechten beim Grenzübertritt, sondern durch eine auf Ankommen ausgerichtete Politik, die alle Menschen in den Blick nimmt. Die Evaluation des Landesaufnahmegesetzes bietet eine Chance, um diese Ziele gesetzlich zu gestalten und dauerhaft zu verankern. Derzeit sehen wir jedoch gegenläufige Prozesse, die auf eine stärkere Bündelung von Zuständigkeiten auf Landesebene abzielen.

 

Mehr zentralisierte Unterbringung führt zu mehr sozialer Isolation

Im Rahmen der Erklärung der Landrätekonferenz wird die Schaffung von Landesübergangseinrichtungen für Menschen vorgesehen, denen aufgrund ihrer Herkunft unabhängig von ihren individuellen Fluchtgeschichten schlechte oder unklare Bleibeperspektiven unterstellt werden. Dies schränkt die Handlungsspielräume der Kommunen bei der fachlich angezeigten Unterbringung von Menschen auf ihrem Gebiet ein und lässt ihre Potenziale zur Schaffung von Teilhabemöglichkeiten ungenutzt. Es ist zu befürchten, dass wichtige Standards wie die Anschlussunterbringung in privatem Wohnraum, die Selbstversorgung, der Zugang zum Gesundheitssystem mit elektronischer Gesundheitskarte und zum öffentlichen Gesundheitsdienst (SPDi), die Teilhabe am öffentlichen Schul- und Kita-System, der Einbezug in Integrations- und Beratungsmaßnahmen der Landkreise sowie die Bewegungsfreiheit im Bundesland und die damit verbundenen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verloren gehen. Dies würde dazu führen, dass die Teilhabe der Menschen unnötig verschleppt wird und sie in den Einrichtungen langfristig gesellschaftlich und sozial isoliert werden.

Statt weiterer Zentralisierung und längerer Aufenthalte in der Erstaufnahme braucht es eine klare Vision für selbstbestimmtes Wohnen in eigenen Wohnungen vor Ort. Gleichwertige Versorgung sowie berufliche und gesellschaftliche Teilhabe geflüchteter Menschen können nur auf kommunaler Ebene gelingen.

 

Kommunen als Orte der Vielfalt

In den vergangenen Jahren konnten bei der kommunalen Aufnahme von geflüchteten Menschen erhebliche Erfolge erzielt werden, denn in Brandenburg existiert eine gewachsene Willkommensstruktur. Hierauf kann zum Wohle ländlicher und kommunaler Entwicklung aufgebaut werden! Brandenburger Kommunen werben vielerorts um Zuzug, der für die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Versorgung und Wirtschaft notwendig ist. Der Blick auf kommunale Entwicklungen weltweit zeigt, dass Zuzug dort gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich am besten gelingt, wo konsequent teilhabeorientiert gearbeitet wird.

Die Kommune der Vielfalt:

  • schafft ein atmendes System der Aufnahme von geflüchteten Personen, das dauerhaft angelegt ist und gleichzeitig bei Bedarf flexibel ausgebaut werden kann.
  • versteht den Zugang zum Arbeitsmarkt als gewinnbringend.
  • schafft ausreichend Wohnraum, medizinische Infrastruktur und Bildungseinrichtungen für alle.
  • integriert Teilhabeangebote und Versorgungsstrukturen für geflüchtete Menschen in die Regelversorgung und finanziert somit eine langfristig gedachte, widerstandsfähige Infrastruktur für alle.
  • überwindet den defizitorientierten Blick auf zuwandernde und schutzsuchende Menschen, indem sie rechten Diskursen ein diversitätsorientiertes Verwaltungshandeln sowie eine Kommunalpolitik der Offenheit entgegensetzt.
  • bezieht die lokale Bevölkerung, darunter Migrant:innenselbstorganisationen, partizipativ ein und stärkt ihre Strukturen sowie Orte der Begegnung ideell wie finanziell.

Wo ausreichende Ressourcen bereitstehen, zeigen manche Kommunen bereits jetzt, was möglich ist. Die Integrationspauschale für die Landkreise und Städte hat hier in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag geleistet und sollte weitergeführt werden. Neben der Verantwortung der Länder ist der Bund in besonderer Weise gefordert, sich substanziell und dauerhaft an den direkten Aufnahmekosten zu beteiligen.

 

Die Neufassung des Landesaufnahmegesetzes als Hebel für Veränderung

Die Evaluation des Landesaufnahmegesetzes bietet eine wichtige Gelegenheit, an positive Entwicklungen anzuknüpfen und sie im Sinne einer teilhabeorientierten, zukunftsfähigen Stärkung der Kommunen weiterzuentwickeln. Beispielhaft lassen sich folgende Hebel aktivieren:

  • Migrantische Selbstorganisationen, Zivilgesellschaft, Wohlfahrtsverbände und Migrationsfachberatende sollen – wie 2016 erprobt – in einem partizipativen Prozess zur Identifikation von Lücken und Potenzialen eingebunden werden.
  • Kommunen müssen ermutigt werden, die Investitionspauschale vorrangig für den Ausbau dezentraler Unterbringung in Einzelwohnungen einzusetzen.
  • Die Erkennung und Versorgung von besonders Schutzbedürftigen nach der EU-Aufnahmerichtlinie – eine besondere Errungenschaft der aktuellen Fassung des LAufnG – muss konsequent umgesetzt werden.
  • Es braucht ein neues, bedarfsgerechtes Verteilungssystem, das die individuellen Interessen und Kompetenzen Schutzsuchender mit den Aufnahmekapazitäten und Angeboten der Kommunen sinnvoll verbindet.

Das vorgelegte Papier soll dazu ermutigen, Zuwanderung nicht nur reaktiv und restriktiv zu begegnen, sondern sie mit Weitsicht und einem klaren moralischen Kompass aktiv zu gestalten. Die jüngsten gewalttätigen Angriffe rechtsorientierter Gruppen auf Wohn- und Begegnungsorte in Brandenburg sind Anlass zur Sorge. Diese Gewalt als Ausdruck von Überforderung durch Fluchtmigration zu interpretieren, ist faktisch falsch, denn sie ist das Ergebnis politischer Diskursverschiebungen in den vergangenen Jahren. Es bedarf jetzt eines entschlossenen Handelns von Politik und Gesellschaft, um dieser Entwicklung wirksam entgegenzutreten.

 

Die Kooperation für Flüchtlinge in Brandenburg setzt sich aus verschiedenen Organisationen zusammen, darunter KommMit – für Geflüchtete und Migrant:innen e.V. – PSZ Brandenburg (Projektträgerin), Evangelischer Kirchenkreis Oberes Havelland, Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, ESTAruppin, Kirchenkreis Wittstock-Ruppin, das Fachgebiet „Soziologie für die Soziale Arbeit“ der BTU Cottbus-Senftenberg und der Flüchtlingsrat Brandenburg.

Mehr Informationen zur Kooperation für Flüchtlinge in Brandenburg finden Sie hier.

 


 

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